Enis Macis und Pascal Richmanns Debüt oszilliert zwischen Geschichte, Gegenwart, obskurem Detailwissen und historischen Großereignissen: Ein Liebesroman in Zeiten von YouTube.

Das ist die Liebesgeschichte von Hans und Reja. Es ist aber auch die Geschichte vom Gold Moctezumas, vom Pfusch-Apotheker Peter Stadtmann und Pando, dem größten Lebewesen der Welt.

Im gleichnamigen Roman von Enis Maci und Pascal Richmann kann man sich nie so sicher sein, wo und wann man sich im nächsten Absatz befindet: Mal ist es das Jahr 2019, mal das Jahr 1521, mal das Jahr 1977. Das ist das Konstruktionsprinzip von Pando: Eine Randbemerkung, ein Aufblitzen eines Details, schon ist man im nächsten Moment wieder völlig anderswo.

Zu gleichen Anteilen ist dies aber auch eine Kindheitsgeschichte voller neunziger und 2000er Jahre Nostalgie, Videospielen, Rumhängen im Stadtzentrum und irgendwie lost sein in NRW, einem Bundesland, das hier mit seiner gnadenlosen Zersiedelung und spektakulären Attraktionen wie dem Bottroper Movie Park vorbildlich für die vielen Entdeckungen zu stehen scheint, die Hans und Reja machen werden.

Das schwerste, sagte ich, das schwerste und größte und älteste Lebewesen der Welt ist ein Wald. Ein Wald in Utah. Tausende von Bäumen, unterirdisch miteinander verbunden. Sie sind identisch, auch wenn sie andere sind. Und wenn einer fällt, düngt er die übrigen. Seit der letzten Eiszeit. Ich hielt dir das Bild hin. Schmale, weiße Stämme und ihre Schatten. Wie ein einziger, belaubter Barcode.

Vielleicht ist die Zeit selbst das Thema dieses Romans: die Gleichzeitigkeit von Erinnerung und Gegenwart, die es schwer macht, eine klare Richtung beizubehalten, und überhaupt das Vergehen der Zeit, das nur noch in Handyvideos und Rückblicken auf dem Smartphone festzuhalten möglich scheint. Als kleine Widerhaken bauen Enis Maci und Pascal Richmann Ereignisse der Zeitgeschichte ein: Die Explosion des Aquadoms in Berlin, der Tod der Queen.

Das Spannungsfeld der ganz großen und ganz kleinen Geschichte, das ständige Zoomen zwischen Gegenwart, Vergangenheit, auktorialem und personalen Blickwinkel macht diesen Roman unvorhersehbar, aber auch enorm abwechslungsreich. Nebenbei ermöglicht es dem Autor*innenduo, eine so unwahrscheinliche Reihe von Figuren wie Walt Disney, Jürgen Elsässer, Hu Jintao, die Ceaușescus und Albrecht Dürer in ihrer Welt unterzubringen.

Was können Rettungsanker sein, wenn sich die Weltgeschichte in Hochgeschwindigkeit abspielt? In Pando sind es dann vielleicht eher die Randfiguren der Geschichte wie Ron Baby, der entgegen allen Wahrscheinlichkeiten an seinem Traum festhält und in Kanab, Utah nach dem Schatz des Moctezuma sucht. Während nur ein paar Kilometer weiter beruhigend die Blätter von Pando rauschen, wie sie es schon seit Jahrhunderten tun.

Enis Maci & Pascal Richmann: Pando. Suhrkamp Verlag, 206 Seiten, 24 €