In Luise Meiers Debütroman verändert ein Pilz die Gesellschaft – er stellt den Strom ab, bringt die Menschen zurück zur Natur und macht sogar Nazis lammfromm. Eine spekulative Utopie mit psychedelischem Twist!

Für alle Fans von Luise Meier zunächst eine schlechte Nachricht: Der schon etwas länger angekündigte Band Proletkult und neoliberale Denkpanzer, in der Reihe „Fröhliche Wissenschaft“ des Verlags Matthes & Seitz Berlin gewissermaßen in Nachfolge zur 2018 erschienenen und Furore machenden MRX Maschine (The Daily Frown berichtete) angekündigt, ist leider immer noch nicht in Sicht.

Dafür gibt es, Überraschung, nun einen Debütroman! Und auch in diesen hat sich ein ordentliches Stück politische Theorie eingeschmuggelt; sogar über den Proletkult erfährt man schon etwas. Aber der Reihe nach.

Hyphen, so der Romantitel, sind nicht nur Bindestriche, sondern auch der Fachbegriff für die fadenartigen Vegetationsorgane von Pilzen. Solcherart fadenartige Vegetationsorgane haben sich ab 2025 an den zentralen Stromleitungen der zivilisierten Welt angesiedelt und die Versorgung in mehreren Schüben zum Erliegen gebracht. Die Folge: Keine Finanztransaktionen, keine Verwaltung, kein Geld, keine Polizei, keine Regierung mehr. Willkommen in der Pilz-Postapokalypse! Das große Wunder in Luise Meiers Roman: Der große Knall bleibt aus. Statt Bürgerkrieg und Straßenschlachten gelingt es den Menschen nach einiger Zeit, die Situtation zu akzeptieren und neue Modelle des Zusammenlebens zu entwickeln: Es entstehen Gemeinschaftsräume für die täglichen Verrichtungen wie Kochen und Waschen, Kinder und Jugendliche organisieren sich in eigenen Häusern ohne Erziehungsverantwortliche, posttraumatisch belastete Bundeswehrsoldaten gründen alternative Kommunen im Grünen.

Schlaglichtartig führt uns der Roman vor allem in der ersten Hälfte durch unterschiedliche Schauplätz, stellt modellartig Figurenkonstellationen auf und spielt Problemstellungen durch: Tatsächlich gibt es einige Familien, die sich in Villen vor der Außenwelt verbarrikadiert haben. Als Gretel, die junge Tochter eines solchen Paars, bei einem Fluchtversuch einen Unfall erleidet, muss die nahe gelegene Dorfgemeinschaft die Eltern konfrontieren. Oder wir lernen den Gamer Tomasz kennen, der nach dem Stromausfall nicht mehr die Welt des Strategiespiels Life is Feudal durchstreifen kann, aber von seiner Nachbarin Be auf eine Erkundungsreise einer ganz anderen Art eingeladen wird.

Luise Meier (Foto: Caroline Böttcher)

Den roten (Pilz)faden des Romans bildet die Figur Maja Bohn, die im Auftrag der Sporenbefreiungsfront das Land durchquert und, im Rahmen einer Art Offline-Wikipedia, dabei hilft, eine Enzyklopädie über die Geschehnisse anzufertigen. Ihre Gespräche nehmen einen großen Raum ein und führen vor allem ab der zweiten Hälfte des Romans hinein in ein Nachdenken über die Art des Zusammenlebens: Angereichert mit ur-marxscher Theorie und dem Wissen über die Fehlschläge der Betonköpfe läuft es auf die Frage hinaus, ob der reale (Pilz)kommunismus vielleicht nicht doch möglich ist.

Hier erkennt man viel von der Luise Meier der MRX Maschine wieder und darf hoffentlich auf mehr hoffen, zumindest der Proletkult (eine kulturrevolutionäre Bewegung im Rahmen der Oktoberrevolution 1917) wird schon einmal anzitiert. Faszinierend, weil völlig neu und in einer charmanten Weise verknüpft ist die Rolle der Pilze, die in Hyphen Antriebsmotor und Hilfsmittel zur Veränderung der Gesellschaft sind. Am besten illustriert dies die Episode „Odins Met“, in der das Lieblingsgetränk der Rechtsradikalen mit psychoaktivem Pilzmaterial angesetzt für den totalen und dauerhaften Stimmungswandel seiner Konsumenten sorgt.

Eine schöne Utopie – aber Luise Meiers Fiktion ist auch durchaus mit Fakten durchmischt. Immer wieder gibt es Einschübe aus der Enzyklopädie, an der Maja Bohn arbeitet, und die zumindest teilweise echter Recherche entnommen sind. Und so kann man sich nach der Lektüre gleich selbst ins rabbit hole stürzen und über Myko-Feminismus, plastikfressende Pilze und den Einfluss von 10.000 Volt starken Blitzeinschlägen auf die Vermehrung der Pilzpopulation forschen. Momentan, Strom und Pilze? Da war doch was…

Luise Meier: Hyphen. Verlag Matthes & Seitz Berlin, 303 Seiten, 25 €