Journalistische Dramolette: Juli Zucker und Andreas Thamm schreiben für Zeitungen und das Internet, beide studieren Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim. Im Zuge der #balticdiscovery der #kreativsaison Mecklenburg-Vorpommern bereisen die beiden die Ostsee-Region zwischen Wismar und Rostock. Ihr Eindrücke werden an dieser Stelle verarbeitet.
A: Ein himmelblauer Opel Ascona aus den 70er Jahren. Der Mann hat ihn 1991 gekauft und zwei Jahre lang hergerichtet. Die hinteren Fenster sind gekippt. Es gibt keine Gurte auf der Rückbank. Wir fahren über eine mecklenburgische Bundesstraße zwischen Wismar und Neubukow, Teiche und Felder und Wälder wechseln sich ab. Außerdem Windräder. Du sitzt in der Mitte, rechts Elena aus Österreich, vorne Maximo aus Cadiz, Spanien ich links. Was geht denn hier ab?
J: Ich hab heute ein Huhn gesehen.
A: Und dann sagt einer im Auto: „Troja“. Und Troja heißt in dem Fall Neubukow, wegen Heinrich Schliemann, dem Troja-Entdecker, der kam aus Neubukow. Und du sagst: „Ja, der kam ja da her.“ Und dann sind wir schon da. Und du sagst: „Schade, jetzt ist unser Roadtrip schon vorbei.“ Am Straßenrand sitzt einer, klobige Gestalt, ogerhaft, kaum Haare und schwenkt bedächtig eine riesige Deutschlandfahne. Wir drehen die Köpfe. Das mit dem Huhn dauert jetzt noch ein wenig.
J: Es war gar nicht so klein, aber ganz ruhig, mit boshaften Huhnaugen, die einem entgegen starren, als würd es dich umbringen wollen.
A: Dann kommt der himmelblaue Opel Ascona da zum Stehen wo der Bürgermeister auf uns wartet. Der Bürgermeister und mindestens drei Übersetzer und Burkhard Albrecht. Ich habe Burkhard Albrecht gerade gegoogelt, die Ostsee-Zeitung schreibt: „Der Neubukow-Experte“. Ich frage mich, ob es an dem Buch liegt, das du gestern gelesen hast – „356 Wege zum Glück“ oder so ähnlich, auf dem Cover war ein Bild, eine Frau rannte mit einem älteren Herrn am Strand entlang – jedenfalls glaube ich, ihr seid mindestens Kumpel geworden, du und Burkhard Albrecht. Burkhard sagt, früher lebten hier Slawen, meistens friedlich, außer wenn es um Frauen ging, dann gab es Krieg.
J: Es muss eher ein trauriges Huhn gewesen sein. Oder zumindest ein mittelgelauntes, Tendenz fallend.
A: Das mit dem Huhn kommt gleich. Burkhard führt uns an der Seite des Bürgermeisters durch dieses Städtchen. Hier sind die Wasserpumpen, hier gab es früher Gewerbe, hier wurde Heinrich Schliemann geboren, so nach dem Motto, nicht zuletzt die größte Fischtreppe Europas, und ein Windrad, das auch einen Größenrekord hält, das größte Norddeutschlands vielleicht, relativ zauberhaft insgesamt. Auf dem Weg zur Mittagspause sagt Teresa zu uns: „Habt ihr Berni Kruse gesehen? Er kommt seit mehr als zehn Jahren jeden Tag aus Kühlungsborn hierher und schwenkt entweder eine Deutschland- oder eine Hansa-Rostock-Fahne. Wenn man ihn nicht grüßt, kann er ganz schön wütend werden.“ Das ist das, was man eigentlich immer hören will. Es gibt Kassler und Kroketten und Pilze, unfassbar seltene Ausgeglichenheit, bei mir zumindest.
J: Unser Huhn hat mit Sicherheit noch nie ein Ei gelegt.
A: Wir gehen ein Stück, an den Rand des Dorfes. Das ist auch so etwas: Ein monumentales Korn-Silo, früher Luftschutzbunker, jetzt: nichts, das heißt, von außen Backsteine und Beton, wie ein Brocken neben den niedlichen Wohnhäusern, aber hinter den Mauern ist alles leer, ein Gebäude als Gefäß für nichts. Daneben eine Brücke, im Hintergrund eine Windmühle und unter uns nichts anderes als die größte Fischtreppe Europas. Wir befinden uns – ich denke so könnte ein Roman heißen, aber ich weiß nicht, ob ich den lesen möchte – im Laichgebiet der Seeforelle. Ein Wahnsinn eigentlich. Gruppenfoto. Jetzt kommt’s gleich, richtig?
J: Glaubst du, mein Bester, du wärst etwas Besseres, weil du einer weißen Henne Sohn bist, wir nur gemeine aus Unglückseiern geschlüpfte Kühen?
A: Ich hätte jetzt auch etwas zu dem Huhn gesagt, Juli, aber zuerst erzähle ich den Witz von Burkard Albrecht, ich weiß den Kontext leider nicht mehr, aber das macht nichts: „Der Gleichstrom heißt Gleichstrom, weil man den gleich bezahlt, beim Wechselstrom wechselt es immer, wer den bezahlt und beim Kreisstrom (um den ging es eigentlich) geht es immer im Kreis herum.“ Emilie, die Dänin, bemerkt, dass das ein Witz ist, der sich nicht übersetzten lässt. Ich hab gekichert, du?
J: Beim Hahnenschrei kehrt die Hoffnung zurück.
A: Wir stehen also auf dieser Brücke über der Fischtreppe von Neubukow, in Mecklenburg-Vorpommern, nordöstlich von Wismar, wo diese ganze Geschichte, das müsste ich erzählen, eigentlich begann, im Atelier von Paetrick Schmidt, dem Maler, aber das würde zu weit führen. Am Straßenrand steht ein Mädchen und es scheint uns zu beobachten, während Herr Albrecht uns die Herkunft der Architektur der Windmühle erklärt. Sie trägt eine Brille mit pinkfarbenem Kunststoffrahmen und auf den Armen ein Huhn. Wir entfernen uns tröpfchenweise von Herrn Albrecht und nähern uns dem Mädchen, bis sich dort auch schon eine kleine Traube gebildet hat. Das Mädchen streichelt sein Huhn, sagt nur es heiße „Lena“, sonst nichts und grinst zahnlückig. Wir fotografieren das Mädchen mit dem Huhn, das ist eigentlich perfide. Später sehen wir, wie die beiden auf der Wiese miteinander schmusen. Und jetzt kommst du, alte Pflaume.
J: Das wars. Das war die ganze Geschichte vom Huhn.
A: Hab noch eins zu rupfen mit dir. Bei nächster Gelegenheit.
Eine Antwort zu „Im Laichgebiet der Seeforelle“
[…] Journalistische Dramolette. Veröffentlicht: 5. Mai 2013 bei Daily Frown. (http://thedailyfrown.wordpress.com/2013/05/05/im-laichgebiet-der-seeforelle-2/) […]